11. GESICHTER

Der 11. Tischtag drehte sich um das Thema Gesichter.

 

Nanaé Suzuki blätterte umfangreiche Gesichtstudien aus, die keine waren. Sie spricht bei diesem ‚Replacement’´
von einer Fortsetzung von der früheren Porträtserie, die eine emotionale Ausnahmearbeit war. Die Gesichtsfelder waren sämtlich durch Scannerbilder von Oberflächenstrukturen ersetzt. Nur die Umrissform oder ein fotografischer Personenkontex ließen daraus eindeutig und ausschließlich Gesichter werden, denn als Sozialwesen wissen wir, dass Gesichter wichtiger sind als Füße und erkennen sie schneller.

Jakob Roepke stellt vier kopfgroße, kubistisch in Flächen aufgesplitterte Pappskulpturen an das Fenster. Auch sie werden in dieser Aufrichtung zu Gesichtern. Noch abstrakter, nur mehr als ephemere Anmutung eines Gesichtes zu lesen. Ständen sie auf dem Tisch, wären es Berge, hielte man sie neben eine Kuh, wären sie Kühe. Diese Mimikribasisskulpturen entstehen seit Jahrzehnten wie eine immer neu zu erfindenden Routine und ordnen sich in kleinen Gruppen.

Lindy Annis zeigt einen Kurzfilm, bei dem nur der Mund und die Nase in invertierten Farben zu sehen ist. In dem ungewohnten Dunkel vollzieht dieses halbe Gesicht langsam gedehnte Grimassen. Mangels Augen nimmt man irgendwann einfach die weiß leuchtenden Nüstern als solche, was die Szenerie noch eigentümlicher macht. Die Wahrnehmung macht aus diesem, aus dem Dunkel heraus grimmassierenden Halbkopf ein eigenes Wesen, das sich erst am Schluss des Filmes, als die Darstellerin sich ganz zeigt, wieder zu dem Teil wird, den wir kennen.

Christiane ten Hoevel zeigt ein Buch mit 50 sehr kindlich gezeichneten Gesichtern, die bei schnellen Zeichenübungen mit Studierenden der Sozialen Arbeit entstanden sind. Der ungeübte Strich lässt ein Engagement sichtbar werden, das im Bemühen um Wiedererkennbarkeit steckt. Es ist ähnlich berührend wie die unmittelbare, kraftvolle Direktheit von Kinderzeichnungen. Die Schwarzweißzeichnungen sind digital farbig weitergearbeitet und bekommen durch Namen, denen mit wenigen Sätzen ein vermeintlicher Charakter zugeordnet ist, noch mehr Persönlichkeit.

Eva-Maria Schön lässt alle Teilnehmenden mit geschlossenen Augen ein Selbstportrait zeichnen. Es entstehen Gesichter, die wie eine Handschrift die eigene Persönlichkeit widerspiegeln, auch wenn es zu Verschiebungen kommen kann. Eva-Maria hat über einen langen Zeitraum diese Selbstporträts gesammelt und dabei festgestellt, daß sich die Zeichnungen auch nach Jahren kaum verändern, wenn man den Vorgang wiederholt. Das innere Bild , das man von sich macht, bleibt das gleiche.

 

Adib Fricke lädt ein, erst über die Begriffe fröhlich, traurig und cool zu sinnieren, und sie dann vor der Kamera zu verkörpern. Es ist ein wenig erschreckend, sich groß an die Wand projiziert zu sehen, denn von innen fühlt man sich anders an, als von außen. Selbst von außen gesehen fühlen wir uns nackt.

Als Loop laufen die Stimmungsgesichter im Hintergrund weiter und begleiten unser Gespräch über den Abend und das Thema.

Berlin im Dezember 2023 bei Adib Fricke